Zeichenkurs

Einleitung

Dieser "Zeichenkurs" ist nicht so zu verstehen, dass hier Anleitungen zum Zeichnen von Cartoon-Figuren gegeben werden. Hierzu gibt es, denke ich, genügend Bücher oder Tutorials. Ich verzichte aus diesem Grund auch bewusst auf eine lehrbuchhafte Systematik von einfach nach kompliziert, oder aufeinander aufbauenden Lektionen - vielmehr betrachte und zeige ich die Grundidee in einem jeweils verschiedenen Kontext.
Ich sehe und bezeichne meine Figuren als "Humorfiguren" (eingebettet in Humorzeichnungen, einen Humorkontext). Diese Figuren sind in gewisser Weise Abstraktionen oder "Bildbuchstaben", mit denen eine Idee "geschrieben" wird, im Sinne von Erich Kästner.
Es geht hier hauptsächlich um das Thema "zeichnerische Vereinfachung und Linienreduktion" und Antworten auf sehr einfache und grundsätzliche Fragen:

# Wie kann ich mit möglichst wenig Linien möglichst viel darstellen?

# Gibt es einfachste, grundlegende Formen, aus denen man beliebige Figuren erzeugen, aufbauen kann?

# Was sind die minimal-wesentlichen Linien oder Formen, die hinreichend sind zum Erkennen des Dargestellten?

Baukasten 

Baukasten

Man braucht nicht viel

Man braucht nicht viel

Das Zeichnen von "Humorfiguren" ist letztlich auch nichts anderes als ein stetiger Entwicklungsprozess - hier: ein Prozess fortschreitender Vereinfachung der Form(en). Ein einfaches "Strichmännchen", etwa in der Art von Saul Steinberg, sieht einfach aus - ist aber meist Folge eines langen Entwicklungsweges.
Meine ersten Figuren waren sehr stark an der korrekten Anatomie orientiert.
Reizvoller und eine größere Herausforderung ist es jedoch, mit einem Minimum an Linien zu arbeiten, einfachste geometrische Grundformen zu verwenden. Es ist erstaunlich, wie wenig Striche oder Formen für eine solche Figur notwendig sind!

Aber gerade das scheinbar Einfache ist das eigentlich Schwierige!

Man kann, denke ich, als schöpferischer Mensch, nahezu aus jeder Form eine Figur erschaffen - sei es nun eine einfach dahingeworfene Linie, ein Buchstabe, eine Zahl oder irgendein Schriftzeichen ... Was auch immer.
Im Grunde könnte man sich ein einfaches Baukastensystem einfachster Formen zurechtlegen, die man beliebig kombiniert - ähnlich wie die chemischen Elemente zu den vielfältigsten chemischen Molekülen sich zusammenfügen.

Beispiel - Baukasten

Aus den hier abgebildeten Elementen eines Baukastens ...

Beispiel - Figur

...lässt sich durch Kombination der Elemente folgende Figur erstellen.

Vereinfachung 

Weniger ist mehr

Anatomische Vereinfachung

Anatomische Vereinfachung

Da in der Humorzeichnung überwiegend Menschen die Handlungsträger sind, sollten sie auch als solche erkennbar sein. Aus meiner Erfahrung sind Kenntnisse der menschlichen Anatomie eine Grundvoraussetzung um zu letztendlich überzeugenden Figuren zu gelangen. Gemeint ist nicht anatomische Genauigkeit, Detailreichtum und exakte Proportionen, sondern ausgehend von dem Schema der menschlichen Anatomie durch Vereinfachung und Variation eine überzeugende Figur zu schaffen.
Das lässt sich weder erklären, noch lehren. Man muss sich dorthin zeichnen durch stetiges Üben ...
Die folgende Darstellung zeigt - ausgehend von der korrekten menschlichen Anatomie (I) die beiden üblichen Vereinfachungsverfahren (II).

Das linke könnte man als "Volumenmodell" oder "Flächenmodell" bezeichnen, da speziell der Brustkorb und das Becken auf flächig bzw. volumenhafte Formen reduziert sind.
Daneben das "Drahtmodell" oder "Linienmodell", das lediglich Linien verwendet. Hinzu kommen natürlich die Bewegungspunkte der Gelenke.

Die drei Figuren im Bereich (III) sind dann die Vereinfachung, um die es hier geht, die stimmig wirkt. Es ist die persönliche Prägung des vereinfachten Grundmodells, die eigenen, unverwechselbaren, typischen Figuren.

Das Verwenden der beiden obigen Grundmodelle zur Gestaltung (II) verleitet aus meiner Erfahrung zu detaillierten und zu sehr realistischen Darstellungen, die im entsprechenden Kontext natürlich ihren Sinn und ihre Berechtigung haben, hier jedoch nicht. Außerdem wirkt jene Art von Figuren eher konstruiert, die anderen (III) entstehen aus einer bzw. wenigen dynamischen durchgezeichneten Linien (das heißt: den Stift auf dem Papier lassen und nur an wesentlichen Übergangsstellen vom Papier nehmen und neu aufsetzen!).
Und doch sollte man den ganzen Weg gehen, sich mit den Methoden stufenweise vertraut machen, von anatomisch korrekten Studien ausgehend. Denn es geht hier um einen Entwicklungsweg von Stufe 1 bis Stufe 4, wie sie im einleitenden Kapitel zur Linienkunst beschrieben sind.

Linienreduktion

Die Frage ist natürlich, wie weit kann man bei der Darstellung einer Figur (oder eines Gegenstandes) die Anzahl der Linien (Striche) reduzieren. Wo liegt die Untergrenze der Wahrnehmbarkeit - wie viele und welche typischen Linien sind dazu notwendig? Das Ergebnis solcher zeichnerischen Überlegungen könnte in etwa so aussehen ...

Beispiele

Minika

"Minika" meint die "Minimalkarikatur" und greift ebenfalls den Gedanken der Linienreduktion auf. Man kann das Reduzieren auf die minimale Anzahl von Linien auf die Spitze treiben oder maximieren. "Minimale Anzahl an Linien" bezieht sich auf die minimale Anzahl an Linien, die nötig sind, um einen Gegenstand, ein Tier, eine berühmte Persönlichkeit in diesen Linien zu erkennen. Das könnte dann zu folgenden Zeichnungen führen:

1 = weiblicher Elefant

2 = männlicher Elefant

3 = Schwein

4 = Maus

5 = Fuchs

6 = Giraffe

7 = Kamel

8 = Laurel & Hardy

9 = Kaiser Wilhelm (mit Pickelhaube)

Buchstabenbilder

Das gleiche Spiel kann man natürlich auch mit Buchstaben (und Sonderzeichen) als Ausgangsform betreiben - alleinstehend oder kombiniert.
Die Kombination ist - ähnlich wie in der Chemie - mit einer Aufbau- oder Strukturformel beschrieben, wie "1L2M2O" für 1x"L", 2x"M", 2x"O".
Punkte und einfache Striche sind in dieser Formel nicht berücksichtigt, da ich sie als „kreatives“ Beiwerk betrachte.

Typisierung 

Typenlehre

Basisfigur und Typenbildung

Basisfigur und Typenbildung

Die Grundidee ist hier:
Aus einer geschlechtsneutralen Basisfigur durch Hinzufügen typischer Attribute, männliche und weibliche Figuren-Typen zu erstellen.
Diese geschlechtsneutrale Basisfigur ist der für jeden Zeichner typische, unverwechselbare Figurentyp, der sich aus dem vorhergehenden Schritt der Vereinfachung ergeben hat.
Diese Basisfigur wird hier "lebendig" gemacht - durch Hinzufügen spezieller, zunächst geschlechtsspezifischer Attribute.

Mir schienen hier folgende Attribute jeweils typisch:

Für den Mann:
Fliege mit Knopfleiste,Punktauge, strichhafter Mund,
Für die Frau:
weibliche Lippen, Kleidausschnitt und Brüste, langes Haar, eventuell auch Betonung der Augen

Menschen sind einerseits keine Stereotype, in der Humorzeichnung muss man sie jedoch meist auf diese reduzieren. Anders ausgedrückt tragen die meisten Menschen eine typische, am stärksten ausgeprägte Eigenschaft, die sie prägt und anhand derer man sie definieren könnte - natürlich sind sie in Wirklichkeit viel mehr, viel komplexer. Für die humoristische Zeichnung ist der Grund-Typus jedoch entscheidend.

Varianten der jeweiligen Grundtypen entstehen durch Ergänzen zusätzlicher Attribute, wie Bart, Hut, Zigarre, Fliege, Krawatte beim Mann und Kleid, spezielle Schuhe, Frisur, Schmuck bei der Frau.
Varianten ergeben sich darüber hinaus durch spezielle Körperformen, Körperhaltung, Gesichtsausdruck, berufsspezifische Kleidung usf.

Über diese Varianten "modelliert" oder definiert man den Grund-Typus einer Figur im Sinne ihrer Persönlichkeit oder ihres Charakterschwerpunkts.
Aus irgendeinem Grund wirken die eher spitzen, etwas kürzeren Nasen bei Frauen auch typisierender – bei Männern stören die langen, eher stumpfen Nasen der Basisfigur hingegen nicht.

Allerdings sollte man nicht übertreiben mit der Ausstattung und immer die Einfachheit im Auge behalten, sprich: sich nicht in Details und einer Vielzahl von Linien verirren. Schattierungen durch Schraffur sind hier ebenso zu vermeiden. Ausdrucksträger ist einzig die Linie.

Ideenfindung 

Ein möglicher Weg ...

Vor jeder Zeichnung steht natürlich die Idee. Diese kann man natürlich nicht einfach so herbeirufen oder gar erzwingen. Sie ist einfach da. Sei es durch Beobachtung einer Alltagssituation, eines Wortes, das man aufschnappt oder als ganz spontane Eingebung.
Ausgehend von dieser Idee kann man jedoch durchaus eine Systematik anwenden, d.h. diese Idee variieren. Somit wird eine Grundidee zum Ausgangspunkt mehrerer humoristischer Zeichnungen, die einer thematischen Linie folgen.
Im folgenden Fall ist dies eine leere bzw. zu füllende Kaffeetasse in Verbindung mit einer Kellnerin, die diese füllen möchte aus der von ihr mitgeführten Kaffeekanne.
Das ist das erste Spannungsfeld in diesen Zeichnungen. Das zweite ist die Unerreichbarkeit der zu füllenden Tasse. Die Kellnerin kann ihre Aufgabe nicht erfüllen, die volle Kanne nicht ihren Zweck und die leere Tasse bleibt leer in bis zum Ende der Zeiten… Eigentlich extremste Tragik, die hier eingefangen ist …
Ich habe mich auf drei Varianten beschränkt, denn je mehr Varianten man zeichnet, desto schwächer (im humoristischen Ausdruck) werden diese (aus meiner Erfahrung).

Variante 1 - Viele Tassen leeren die Kanne vor dem Ziel

Etwas schwierig an den durstigen Mann zu gelangen und seine Tasse zu füllen. Bis dorthin ist die Kanne wohl wieder leer, bei all den anderen Tassen. Der Mann wird seinen Kaffee nie erhalten, seine Tasse wird niemals gefüllt werden!

Variante 2 - der endlose Kreislauf der leeren Tasse

Endlosschleife ... und ewig bleiben die Tassen leer!

Variante 3 - Unerreichbar

Hmmm..Wie soll das gehen? Es trennt vielleicht ein Meter das Unmögliche vom Möglichen, die Tasse vom Kaffee ... So bleibt auch diese Tasse leer...

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